Turbo für den Wasserstoff

Der Klimawandel ist schneller als erwartet, die Energiewende langsamer als gewünscht. Die Referenzfabrik.H2 will Tempo in die Produktion von Wasserstoffsystemen bringen und etwa der Automobilindustrie neue Geschäftsfelder öffnen: Fraunhofer macht »Fit4H2«.

 

Fit4H2 – Schulung in der Referenzfabrik.H2: Orientierung für die Wasserstoffsystem-Produktion

Sechs Schräublein, sechs winzige Muttern sowie jede Menge durchsichtige, schwarze und farbige Rechtecke: Selbst als Demo-Version im Puppenstubenformat ist der Zusammenbau eines Elektrolyseur-Stacks kein Kinderspiel. Im Schulungsraum des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz beugen sich 20 Köpfe über die Mini-Teile und versuchen, sie in sinnvoller Reihenfolge zu stapeln und zu fixieren. Mit nicht immer optimalem Ergebnis: »Kann es sein, dass am Ende eine Membran übrig bleibt?«

Das kann – und sollte – natürlich nicht sein. Aber es ist auch kein Drama, schließlich geht es beim Workshop Fit4H2 am Fraunhofer IWU ums Lernen. Und darum, binnen zwei Tagen fitter in Sachen Wasserstofftechnologie zu werden. Die Mehrheit der Teilnehmenden aus Unternehmen in Deutschland, Österreich und Tschechien erhofft sich Anregungen für neue Geschäftsfelder – etwa, weil das nahende Verbrenner-Aus eine Ausweitung des Produktportfolios oder gar eine unternehmerische Neuausrichtung erfordert. Andere sind bereits eingestiegen in die Wasserstoffwirtschaft und suchen nach Wegen der Prozessoptimierung. Mit fünf Fahrzeug- und Motorenwerken sowie 780 Zulieferern, Ausrüstern und Dienstleistern in der Mobilitätsbranche gilt Sachsen traditionell als »Autoland«; gut 95 000 Arbeitsplätze entfallen auf diese Branche, mehr als 80 Prozent davon in der Zulieferindustrie.
 

»Hydrocycle«, das Motorrad fürs Wasserstoffzeitalter

»Wir wollen Einblicke in die Technologie sowie die Anforderungen und Herausforderungen bekommen«, hatte Ulrike Michel-Schneider in der Vorstellungsrunde erklärt. Sie nimmt gemeinsam mit Dušan Poliaček an Fit4H2 teil. Dessen Unternehmen 1to1 design in Prag entwickelt in einem deutsch-tschechischen Forschungskonsortium mit dem Fraunhofer IWU derzeit ein Motorrad mit Wasserstoff-Antrieb. Der Part von 1to1 design im Projekt »Hydrocycle « liegt in der Konstruktion einer schlanken und leichten Karosserie, in der dennoch ein komplettes Brennstoffzellensystem Platz finden muss. Ulrike Michel-Schneider und Dušan Poliaček möchten deshalb nicht nur wissen, wie eine Brennstoffzelle aufgebaut ist, sondern auch, wie stark man sie schrumpfen kann, ohne an Leistung zu verlieren. Die Idee eines H2-Motorrads fasziniert Designer Poliaček: »Rein elektrische Motorräder gibt es bereits, hier ist wenig Innovation möglich.« Außerdem verspricht er sich mehr Fahrspaß für längere Strecken. »Wasserstoff kann eine wichtige Alternative werden – auch für Kleinfahrzeuge.«

 

Stefan Lohberger
© Fraunhofer / Sven Döring
Damit es aufwärts geht: Stefan Lohberger, technischer Mitarbeiter am Fraunhofer IWU in Chemnitz, ist beteiligt an der Entwicklung eines Wasserstoff-Motorrads.
Dr.-Ing. Ulrike Beyer
© Fraunhofer / Sven Döring
Wie heben wir die Wasserstoff-Wirtschaft auf ein neues Level? Für Dr.-Ing. Ulrike Beyer, Leiterin der Referenzfabrik.H2 am Fraunhofer IWU, ist das ein Herzensthema.

Der »Käse« der erneuerbaren Energie

Wasserstoffwirtschaft als Zukunftstechnologie: Für Dr.-Ing. Ulrike Beyer, Leiterin der Referenzfabrik.H2 am Fraunhofer IWU, ist das ein Herzensthema. Damit Deutschland, Europa und weitere Länder weltweit ihre Dekarbonisierungsversprechen erfüllen können, muss die Produktion von erneuerbarer Energie massiv nach oben gefahren werden. »Doch erneuerbare Energie ist wie Frischmilch: Sie muss sofort verbraucht oder aber umgewandelt werden in ein haltbares Produkt – wie Käse«, erklärt Beyer. »Wasserstoff hat das Potenzial, zum Käse der erneuerbaren Energie zu werden und so die Energiewende zu unterstützen.«

 

Marktentwicklung und industrielle Nachfrage nach grünem Wasserstoff

Dafür allerdings muss die Produktion von grünem Wasserstoff – also hergestellt durch Elektrolyse mithilfe erneuerbarer Energien oder aus Biomasse – extrem nach oben skaliert werden. »Für die industrielle Massenproduktion sind die H2-Technologien aber noch nicht ausgelegt und momentan zu teuer«, konstatiert Ulrike Beyer gleich zu Beginn des Workshops. Damit sich das ändert und das Gas auch preislich mit fossilen Energien mithalten kann, hat das Fraunhofer IWU in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT im Jahr 2022 die Referenzfabrik.H2 ins Leben gerufen und um die Forschungsinhalte des Fraunhofer-Instituts für Elektronische Nanosysteme ENAS in Chemnitz erweitert.

Was Ulrike Beyer als Leiterin der Referenzfabrik.H2 umtreibt, ist die Tatsache, dass sowohl Elektrolyseure als auch Brennstoffzellen – die beiden essenziellen Systeme zur Erzeugung und Rückverstromung von Wasserstoff – in Deutschland noch immer in viel zu kleinen Stückzahlen hergestellt werden. »Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien wird die Nachfrage nach diesen Technologien bis 2050 sprunghaft ansteigen«, zeigt sie sich überzeugt. Die Industrie benötigt Wasserstoff etwa als Ersatz für Erdgas und als Speichermedium für die erneuerbaren Energien zur Dekarbonisierung der Fertigungsverfahren. In der Mobilität wird der H2-Hunger voraussichtlich ab 2030 zuerst im Schwerlastverkehr und ab 2040 auch in der Luft- und Schifffahrt massiv wachsen. Eine aktuelle Meta-Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISE prognostiziert eine globale Wasserstoff-Nachfrage bis 2050 von vier bis elf Prozent am Endenergiebedarf. In ihrer überarbeiteten Wasserstoffstrategie postuliert die Bundesregierung, dass rund 50 bis 70 Prozent des für 2030 erwarteten H2-Bedarfs durch Importe gedeckt werden müssen. Es sei denn, die Inlands-Produktion kann noch deutlich an Fahrt zulegen.

Vorhersagen wie diese seien ein klares »Aufbruchssignal, in diesen Markt einzusteigen«, erklärt Beyer den Schulungsteilnehmenden, die sich fleißig Notizen machen. Denn es gebe schon bald »einen riesigen Mangel an Produktionstechnologien«, also an Elektrolyseuren und Brennstoffzellen für den künftigen Bedarf. Auch die hohe Gründungsfrequenz von Start-ups im Bereich H2-Technologien ist laut Beyer ein Indikator für die Zukunftsfähigkeit des Marktes: »Wir stehen erst am Anfang der Produktionsentwicklung.« Das Fraunhofer-Wasserstoff-Netzwerk hält eine jährliche Wertschöpfung von 10 Milliarden Euro im Jahr 2030 und 32 Milliarden Euro im Jahr 2050 für deutsche Hersteller von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen für möglich.

»Anschub für Ihre Wertschöpfung« steht entsprechend auf den Traubenzuckerpäckchen, die jeder Schulungsteilnehmer von Fit4H2 als Nervennahrung auf seinem Platz gefunden hat. »Auf 20 in 27« lautet das Leistungsversprechen der Referenzfabrik.H2: Bis 2027 sollen die Produktionskosten für Hydrogen-Systeme auf 20 Prozent der heutigen Ausgaben gesenkt und Wasserstofftechnologie aus Deutschland dadurch konkurrenzfähig werden. »Hier könnten wir eine Möglichkeit der Wertschöpfung zurückholen, die uns durch Batterieelektrik verloren gegangen ist«, urteilt Beyer.

Innovationsförderung und Markteinstiegsstrategien

»Auf 20 in 27« ist ein ambitioniertes Vorhaben, doch angesichts der globalen Konkurrenz ist eine ehrgeizige Vision auch angesagt. Das US Department of Energy etwa hat für die Vereinigten Staaten den sogenannten »Hydrogen Shot« gestartet: Binnen einer Dekade sollen die Kosten für sauberen Wasserstoff um 80 Prozent auf einen US-Dollar pro Kilogramm reduziert werden. Um hier mithalten zu können, ist ein enger Schulterschluss zwischen Forschung und Industrie vonnöten. Die Referenzfabrik.H2 hat bereits 25 Unternehmen als feste Partner in die Wertschöpfungsgemeinschaft integriert und treibt das Wachstum weiter voran. Unter den Mitstreitern ist beispielsweise die Schaeffler Gruppe: ein international aufgestellter Automobil-Zulieferer, der bereits eine Vielzahl von Wasserstofftechnologie-Anwendungen im Blick hat. Aber ebenso die Spreckelmeyer GmbH, ein mittelständischer Handwerksbetrieb aus dem nordrhein-westfälischen Lengerich, dessen Kerngeschäft im Maschinenbau, in der Automation und Robotik liegt. Beyer betont: »Wir brauchen auch diese bodenständige Tüftlermentalität, um das Thema Wasserstoff voranzutreiben.«

 

Der Forscher Sebastian Melzer im Technikum des Fraunhofer IWU.
© Fraunhofer / Sven Döring
Wie lassen sich Bipolarplatten (BPP) modular anfertigen? Diese Frage beschäftigt Sebastian Melzer im Technikum des Fraunhofer IWU.

Hy-Ventus soll den industriellen Aufwind bringen

Den Marktlauf von Wasserstofftechnologien »made in Germany« forciert die Referenzfabrik.H2 aus zwei Richtungen: Innerhalb des vom BMBF geförderten Leitprojekts H2Giga fokussiert sie sich im Vorhaben FRHY unter Beteiligung der Fraunhofer-Institute IWU, IPT, IPA und ENAS sowie des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS auf die Entwicklung flexibler Lösungen für die Großserienfertigung von Elektrolyseuren. In ihnen wird Wasser mithilfe von Energie in Wasser- und Sauerstoff gespalten. Doch mit den vorhandenen Technologien ist eine Massenproduktion von Elektrolyseuren bislang nicht konkurrenzfähig.

Elektrolyseur-Produktion steigern

In der Referenzfabrik.H2 wurde deshalb Hy-Ventus entwickelt, der Wind in die Sache bringen soll: ein neuartiger Elektrolyseur-Stack, der sich für die hochratenfähige industrielle Fertigung eignet. Sebastian Melzer vom Fraunhofer IWU führt gleich an Tag 1 der Schulung durch die Einzelteile des Stacks wie etwa Bipolarplatten (BPP) aus Halbplatten, die in einem inhouse entwickelten Verfahren maschinell mit großem Tempo prägend gewalzt und anschließend mittels Elektronenstrahl verschweißt werden. Die Protonen-Austausch-Membranen, eingebettet in einen stabilen Folienrahmen, werden zwischen den BPP jeweils umschlossen von porösen Transportschichten (»Porous Transport Layer«, PTL bzw. »Gas Diffusion Layer«, GDL). Zwei vergoldete Kontaktplatten an den beiden Enden des Stacks dienen der Versorgung mit Energie. Klingt einfach – doch bei der Aufgabe, den Stack im Miniatur-Format selbst zusammenzuschrauben, merken manche der Teilnehmenden, dass das Prinzip noch nicht ganz durchdrungen wurde: »Wohin kommen die goldenen Dinger noch einmal?«

 

Dr. Andreas Willert im Technikum des Fraunhofer ENAS.
© Fraunhofer / Sven Döring
Wie lässt sich die Herstellung von Brennstoffzellen-Stacks beschleunigen? Daran arbeitet Dr. Andreas Willert im Technikum des Fraunhofer ENAS.

Im großen Maßstab wird Hy-Ventus derzeit fertigungstechnisch ausgelegt und soll ab 2025 industriell hergestellt werden. Zeit wird’s, denn: Um 70 Millionen Tonnen Wasserstoff bis 2030 global herzustellen, müssten 190 Millionen solcher Stacks angefertigt werden, betont Melzer. Die Fläche der dafür benötigten BPP würde 16 000 Fußballfelder ausmachen, die Schweißnähte (rund ein Meter pro BPP) würden fünf Mal von der Erde bis zum Mond reichen.

Nationaler Aktionsplan Brennstoffzellen-Produktion

Der zweite Forschungsschwerpunkt der Referenzfabrik.H2 ist die Brennstoffzelle – gefördert vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) im Nationalen Aktionsplan Brennstoffzellen-Produktion H2GO, einem Gemeinschaftsprojekt von 19 Fraunhofer-Instituten unter der Koordination des Fraunhofer IWU. Geforscht wird in Chemnitz beispielsweise daran, wie sich die sogenannte MEA (Membran-Elektroden-Einheit) als Herzstück eines Brennstoffzellen-Stacks bestmöglich in großer Menge und dadurch kostengünstig herstellen lässt. Man setze hier große Hoffnungen in das Inkjet-Druckverfahren, erläutert Dr. Andreas Willert. Der stellvertretende Leiter der Abteilung »Printed Functionalities« am Fraunhofer ENAS präsentiert die dafür speziell entwickelten Maschinenkonzepte im Technikum. Herausforderung dabei ist unter anderem, die Viskosität und Zusammensetzung des Beschichtungsmaterials so einzustellen, dass der Druckkopf nicht verstopft und die Membran gleichmäßig beschichtet wird – so schnell, dass sie keine Zeit bekommt, aufzuquellen.

Auch die Frage nach den Fehlertoleranzen bei Elektrolyse- und Brennstoffzellenmembranen sowie bei der Bipolarplatten-Produktion beschäftigt die Fraunhofer-Forschenden. »In die Aktivierung, also Prüfung eines Stacks fließen derzeit rund fünf Prozent der Gesamtherstellungskosten«, erklärt Sören Scheffler vom Fraunhofer IWU. »Das nehmen wir der Industrie mit unserem H2-Prüflabor ab.« Es gehe zudem darum, Parameter für effiziente Produktionsbedingungen zu detektieren. Momentan setzt die Industrie auf eine Null-Toleranz-Strategie, denn schon eine kaputte MEA senkt die Lebensdauer des gesamten Stacks massiv. Das bedeutet viel Ausschuss, der sich reduzieren ließe, wenn die relevanten Fehlertoleranzen der Stack-Bestandteile bekannt wären. Auch zur digitalen Simulation des Alterungsverhaltens fehlen derzeit noch Daten. Scheffler über den Blindflug ohne Richtwerte: »Momentan muss ein Stack 1000 Stunden betrieben werden, um mit Sicherheit sagen zu können, dass er 1000 Stunden betrieben werden kann.«

Ein Technologie-Baukasten für die Industrie

In der Referenzfabrik.H2 setzt man auf Schwarmintelligenz: Wissenschaft und Wirtschaft sollen sich ergänzen zu einer Wertschöpfungsgemeinschaft, die den Hochlauf der Wasserstofftechnologien in Deutschland und Europa gemeinsam stemmt. In einer Art Technologie-Baukasten will man dafür Bausteine für die Produktion von Elektrolyseur und Brennstoffzelle vereinen und zum Wissenstransfer anbieten. Eine sogenannte Technologie-Mall stellt die wesentlichen Stack-Komponenten modular zur Verfügung.  Und Technologie-Services seitens der Fraunhofer-Forschung helfen den Partnerunternehmen bei der Integration vorhandener Kompetenzen und Infrastrukturen in eine Wasserstoffsystem-Produktion.

Selbst an die H2-Fachkräfte von morgen ist bereits gedacht: Die Referenzfabrik.H2 ist deutscher Schirmherr des H2 Grand Prix, ins Leben gerufen von dem tschechischen Unternehmen Horizon Educational. In Teams entwickeln hier Schülerinnen und Schüler kleine Wasserstoff-Flitzer und treten zunächst in einem nationalen und später auch internationalen Rennen gegeneinander an. Im vergangenen Jahr konnten nur Jugendliche aus Sachsen berücksichtigt werden, doch »unser erklärtes Ziel ist, den Grand Prix deutschlandweit auszurollen«, betont Katrin Zieger, zuständig für die strategische Kommunikation der Referenzfabrik.H2. Schließlich kann man gar nicht früh genug anfangen, die Fachkräfte von morgen »fit4H2« zu machen.

Referenzfabrik.H2

Die Referenzfabrik.H2 in Chemnitz schafft die Voraussetzungen für die industrielle Massenproduktion von Wasserstoffsystemen.

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